Die EZB ist wie erwartet zur Tat geschritten. Die Senkung ihrer Leitzinsen im Euroraum um 25 Basispunkte entspricht exakt dem, worauf sich die Märkte in den vergangenen Wochen eingestellt hatten. Die EZB versucht mit diesem Schritt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits trägt sie der Tatsache Rechnung, dass die Inflation sich ihrem mittelfristigen Inflationsziel genähert hat. Andererseits unterstützt sie mit der Zinssenkung die Konjunkturerholung, indem sie für günstigere Finanzierungskosten sorgt.
Dieser Schritt passt zum bisherigen Agieren von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die sich lieber eine Eule als einen Falken oder eine Taube nennt. Dennoch ist spürbar geworden, dass die oberste Währungshüterin noch einige Zweifel am baldigen Erreichen des Inflationsziels hegt, nachdem die Euroraum-Inflationsrate im Mai von 2,4% auf 2,6% gestiegen war. So hat die EZB ihre durchschnittlichen Inflationsprognosen für 2025 und 2025 auf 2,5% bzw. 2,2% angehoben.
Besonders zwei Punkte machen der EZB mit Blick auf den Inflationstrend Sorgen. Erstens, die nicht zuletzt aufgrund anhaltender Personalengpässe weiter überproportional steigenden Dienstleistungspreise. Zweitens, die weiterhin signifikant anziehenden Löhne im Euroraum, die gerade im Dienstleistungsbereich weiterhin für Preis-Aufwärtsdruck sorgen. Die EZB tut gut daran, diese Themen ernst zu nehmen.
Wir gehen bei beiden Faktoren allerdings tendenziell von einer leichten Entspannung aus, was auch der Inflationsentspannung noch etwas mehr Raum geben dürfte. So rechnen wir in der Eurozone bis Ende 2024 mit einer Inflationsrate von 2,4% und Ende 2025 von 2,0%. Der Weg dorthin wird allerdings nicht geradlinig verlaufen.
Vor diesem Hintergrund dürfte die EZB aus unserer Sicht ihre Leitzinsen im zweiten Halbjahr am ehesten noch zwei weitere Male, jeweils einmal pro Quartal, senken – womit der Hauptrefinanzierungssatz zum Jahresende bei 3,75% und der Einlagensatz bei 3,25% spürbar niedriger als bisher liegen würde. Für kommendes Jahr rechnen wir aus heutiger Sicht dann noch mit zwei weiteren Senkungen. Ob sich diese Aussichten wirklich bewahrheiten, wird jedoch stark davon abhängen, wie die EZB in ihrem selbsterklärten „datengetriebenen“ Handlungsschema von Sitzung zu Sitzung mit den zwischenzeitlich hereinkommenden Inflations- und Konjunkturdaten umgeht und wie diese ausfallen.
Auch wenn es schon deutlich entschlossenere Zinswenden gab: Die EZB ist mit ihrem ersten Zinsschritt anders als sonst früher dran als die Fed, die weiterhin mit höheren Inflationsdaten als in Europa zu kämpfen hat. Sie dürfte frühestens im September ihre Leitzinsen erstmals senken – und dann auch nur noch ein bis zweimal bis Dezember.
Robert Greil, CFA,
Chefstratege
MERCK FINCK A QUINTET PRIVATE BANK