Endlich wieder Zinsen – das dürften viele deutsche Sparer gedacht haben, als die Leitzinsen nach Ende der Coronakrise zügig anstiegen und sich einige Banken ein regelrechtes Zinsrennen geliefert haben. Doch sind Investitionen in der Anlageklasse „Cash“ – zu der auch Tagesgeld gehört – wirklich so günstig, wie es optisch scheint?
Zinswende der EZB und Fed wirkt negativ auf Cash-Anlagen
Richtig ist, dass Cash-Anlagen wie Tagesgeld, Festgeld oder auch Geldmarktpapiere derzeit so hohe Nominalzinsen bieten wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. In den letzten Monaten haben die Renditen auf Cash – gemessen am Einlagesatz der EZB – die Renditen von Anleihen im Euroraum sogar übertroffen. Doch es gibt Anzeichen, dass es für Anleger an der Zeit ist, Cash den Rücken zu kehren.
Den wichtigsten Grund liefern die Notenbanken: So hat die EZB die Zinswende eingeläutet, während die Fed sie vorerst verschoben hat. Zinssenkungen stehen mit hoher Wahrscheinlichkeit bevor, wenn auch in Europa und den USA in unterschiedlichem Ausmaß und Tempo. Während der Rückgang der Inflation und die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone eine erste Zinssenkung bereits im Juni und weitere im Jahresverlauf wahrscheinlich machen, sieht es in den USA anders aus. Dort stagnierte die Inflation zuletzt weitgehend oberhalb des Notenbankziels, und das Wirtschaftswachstum ist immer noch robust. Wir rechnen daher in den USA nur noch mit ein bis zwei Zinssenkungen im Jahresverlauf – aber eben auch nicht mit erneuten Zinsanhebungen.
Kursanstieg bei Anleihen mit längerer Laufzeit und europäischen Unternehmen
Sinkende Leitzinsen wiederum führen dazu, dass mit nur geringer Verzögerung auch die Zinsen auf Cash-Anlagen wieder fallen werden. Spiegelbildlich dazu sollten wir am Anleihemarkt fallende Renditen sowie steigende Kurse bei Papieren mit längeren Laufzeiten sehen. Anleger können sich diese Situation jetzt noch zunutze machen, indem sie sich attraktive Zinsniveaus durch Investments in Anleihen mit längerer Laufzeit sichern.
Wichtig wird auch die stützende Wirkung von Zinssenkungen für die Konjunktur sein. Dadurch wird das Umfeld – und auch die Finanzierungssituation – für die Unternehmen günstiger, sodass europäische Unternehmensanleihen mit guter Bonität ebenfalls im Kurs steigen sollten. Der Renditeaufschlag gegenüber Staatsanleihen ist zwar nicht mehr besonders hoch, aber durchaus noch attraktiv, solange sich das konjunkturelle Umfeld auch wirklich verbessert.
Strategisch günstiger Zeitpunkt für Investments in Staatsanleihen
Staatsanleihen sollten ebenfalls nicht im Portfolio fehlen, da sie einen Stabilitätsanker bei krisenhaften Entwicklungen bieten und das Portfolio gegen Schocks, zum Beispiel durch geopolitische Verwerfungen, schützen können.
Anleger sollten die Gunst der Stunde nutzen, um eine Erhöhung ihrer Investments im Anleihenmarkt zulasten der Cash-Komponente in Erwägung zu ziehen. Noch ist die Zeit günstig, denn aktuell favorisieren viele Sparer und Investoren Barmittel, doch bald könnte sich der Wind drehen. Auch im letzten Zinszyklus hat sich gezeigt, dass Anleihen um den Höhepunkt der Zinsen herum beginnen, wieder attraktiver zu werden als Cash.
Stefan Duderstedt, CFA
Head of Investment & Client Solutions
Merck Finck – A Quintet Private Bank