Aktienanleger tun gut daran, genau auszuwählen, in welche Branchen sie investieren. Diese sogenannte Sektor-Allokation war im bisherigen Jahresverlauf 2022 besonders wichtig. Der Performance-Unterschied zwischen der besten und der schlechtesten Branche betrug auf US-Dollar-Basis im Zeitraum zwischen Jahresanfang und Ende August rund 60 Prozentpunkte. Selten wurden in der Vergangenheit höhere Differenzen gemessen. In Euro gerechnet ergeben sich sogar noch höhere Renditeunterschiede. Wenig überraschend waren es seit Jahresanfang vor allem Energieaktien, die mit über 56 Prozent Plus an der Spitze des Feldes lagen, während Technologietitel mit rund 22 Prozent Minus das Schlusslicht bildeten. Doch auch zwischen anderen Sektoren herrschten teils große Differenzen. Industriedienstleister erzielten etwa eine Wertentwicklung von über 17 Prozent, wohingegen Einzelhändler über 11 Prozent verloren. Eine starke Streuung der Renditen tritt vor allem in Zeiten des Umbruchs und der Krise auf. So erreichte der Unterschied zwischen bestem und schlechtestem Sektor im Corona-Jahr 2020 rund 80 Prozentpunkte, und ähnlich sah es während der Finanzkrise im Jahr 2009 aus. Doch auch in einem ruhigeren Fahrwasser sind die Unterschiede signifikant und liegen in den meisten Jahren zwischen 30 und 50 Prozentpunkten.
Investoren, die sich frühzeitig für Sektortrends in Position bringen, können auf diese Weise also die Rendite ihrer Anlagen insgesamt spürbar optimieren. Wichtig ist allerdings, dass sie diese Positionierung bewusst als taktisches Instrument im Zusammenhang ihres Gesamtportfolios sehen. Das Momentum einzelner Sektoren lässt sich häufig über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten sinnvoll ausspielen. Indes sollten Engagements in Einzelaktien auf einer fundamentalen Einschätzung mit einem Zeithorizont von drei bis fünf Jahren bestehen. Die Positionierung des Portfolios für längerfristige thematische Trends – etwa Demografie oder Digitalisierung – sollte sogar auf Sicht von fünf bis zehn Jahren vorgenommen werden.
Für das Gelingen der taktischen Sektor-Positionierungen ist es entscheidend, die Performance-Treiber der Sektoren im Blick zu haben. Im bisherigen Jahresverlauf waren zwei Kernthemen auffällig: die Verlagerung von Wachstums- zu günstiger bewerteten Value-Werten, insbesondere getrieben durch die Inflation, sowie die Angst vor einer globalen Rezession, die Anleger in Richtung risikoärmerer Sektoren mit stabilen Cashflows und Erträgen gedrängt hat.
Im Blick nach vorn halten wir eine Mischung aus defensiven Sektoren und einigen
längerfristigen Wachstumssektoren, die im bisherigen Jahresverlauf eine schwache Performance gezeigt haben, für aussichtsreich. Wir halten insbesondere die Bereiche Gesundheitstechnologie, Einzelhandel (insbesondere Lebensmitteleinzelhandel) und Konsumgüter für attraktiv. In der Vergangenheit haben diese Sektoren in einem ähnlichen Umfeld eine bessere Performance als der Markt gezeigt. Mittelfristig sollten diese defensiven Sektoren durch eine Allokation in zwei wachstumsstärkere Sektoren – Industriedienstleistungen und Technologie – ergänzt werden. Nach unserem Bottom-up-Modell sind dies zwei der stärkeren Sektoren, da beide von hochwertigen Unternehmen mit marktführenden und schwer zu kopierenden Geschäftsmodellen dominiert werden. Die jüngste Underperformance hat hier attraktive Einstiegsmöglichkeiten geschaffen.
Marc Decker
Stellvertretender Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck