Die in der heutigen Sitzung des EZB-Rats beschlossene Erhöhung des Hauptrefinanzierungssatzes um 50 Basispunkte auf 3,00 Prozent kommentiert Robert Greil, Chefstratege Merck Finck:
Wir haben heute sicher noch nicht die letzte Leitzinserhöhung der EZB gesehen. Auch in der nächsten Sitzung am 16. März rechnen wir unverändert mit einer Anhebung um 50 Basispunkte (wie sie die EZB heute auch explizit in Aussicht stellte) und danach (am 4. Mai) noch einmal um 25 Basispunkte. Mit dem dann erreichten Leitzinssatz von 3,75 Prozent sehen wir aus heutiger Sicht das Ende dieses Zyklus erreicht.
Anders als viele Marktbeobachter erwarten wir jedoch nicht, dass die EZB schon in der zweiten Jahreshälfte damit beginnen wird, wieder in die entgegengesetzte Richtung zu steuern. Vielmehr wird sie aus unserer Sicht erst einmal den behutsamen Abbau ihrer Bilanz (monatlicher Abbau des Anleihenbestandes um 15 Mrd. Euro von März bis Juni) fortsetzen und die Auswirkungen ihrer restriktiven Geldpolitik bewerten.
Für einen Schwenk hin zu einer expansiven Geldpolitik wäre es unserer Ansicht nach zu früh. Denn in der Eurozone wirkt die Geldpolitik schon aufgrund der erst später eingeleiteten Leitzinsanhebungen noch lange nicht so restriktiv wie bereits in den USA.
Zudem entspannt sich der Inflationstrend in den USA bereits seit Mitte letzten Jahres, in der Eurozone aber erst seit kurzem. Während sich dabei die Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) hartnäckig hoch hält, werden aus unserer Sicht erst die März- und Aprilzahlen zur Gesamtinflation im Euroraum eine deutliche Entspannung zeigen, was der EZB im zweiten Quartal den Weg zum Abschluss des gegenwärtigen Zinserhöhungszyklus ermöglichen sollte.
Nachdem sich allerdings dank der gesunkenen Energiepreise, der Entspannung bei den Lieferketten und auch wieder besserer Exportaussichten nach China die Konjunkturperspektiven für den Euroraum wieder aufgehellt haben, rechnen wir mit einer weiterhin eher restriktiven EZB-Politik – im weiteren Verlauf dann allerdings nicht mehr hinsichtlich der Zinspolitik, sondern hinsichtlich eines beschleunigten Bilanzabbaus über „Quantitative Tightening“.
Geldpolitik und Geopolitik bleiben in diesem Jahr bestimmende Faktoren für die Entwicklung der Finanzmärkte. So schwer insbesondere die geopolitischen Entwicklungen vorherzusagen sind, so wichtig ist es für Anleger, flexibel zu agieren, wenn sich eine Veränderung der Gemengelage ankündigt. Wir sehen für das Jahr 2023 drei Top-Risikokomplexe: 1. die Energiethematik vor dem Hintergrund des Russland/Ukraine-Konflikts, 2. die Notenbankpolitik in Zusammenhang mit dem Inflations- und Konjunkturtrend und 3. China hinsichtlich seiner schnellen Wiederöffnung und des Taiwan-Konflikts.