Nachdem die großen US Banken bereits im Januar ihre Quartalsergebnisse veröffentlicht hatten, befinden wir uns nun in der heißen Phase für die Berichte ihrer europäischen Pendants. Fast die Hälfte der im EuroStoxx 600 gelisteten europäischen Finanzinstitute hat seine Ergebnisse veröffentlicht; ganz aktuell die französischen Großbanken BNP Paribas und Société Générale und morgen die norwegische DNB.
In einer ersten Zwischenbilanz sehen wir, dass fast 80 Prozent von ihnen teils deutlich die jeweiligen Gewinnschätzungen übertrafen – im Schnitt um circa 21 %. Zudem überraschten auch fast zwei Drittel der Institute mit einem im Schnitt um fünf Prozent höheren Gewinn. Fast unisono konnten die Finanzinstitute eine deutliche Verbesserung ihres Nettozinsergebnisses vermelden.
Diese Zahlen sehen deutlich besser aus als die der US-Finanzinstitute. Dort berichteten bisher fast 90 % der Institute und knapp 60 % von ihnen konnten die Gewinnerwartungen übertreffen; im Schnitt aber nur um circa 1,4 %. Ihren tatsächlichen Gewinn steigerten nur gut die Hälfte der Institute. Im Aggregat gingen die Gewinne sogar im Schnitt um circa 14 % zurück. Für das nächste Quartal haben sich die Schätzungen für das Gewinnwachstum deutlich eingetrübt – ganz im Gegensatz zu europäischen Banken.
Macht dies nun die europäischen Geldhäuser für Investoren wieder relativ attraktiver?
Zum einen muss festgehalten werden, dass der Zinsanstieg dies- und jenseits des Atlantiks den Finanzinstituten massiv bei der Rückgewinnung von Ertragskraft geholfen hat. Dies reflektierte bereits die sehr positive Kursentwicklung des breiten europäischen Bankenindex (Bloomberg 500 Banks and Financial Services Index) von circa +35 % seit den Tiefstständen im Oktober 2022 – im Vergleich zum breiten europäischen Aktienmarkt mit circa +19 %, aber auch gegenüber ihren US-amerikanischen Pendants. Zum Anderen unterstützten die steigenden Inflationsdaten im letzten Jahr die Bankentitel, da hier eine davon abgeleitete bzw. vorgezogene Kreditnachfrage die Ergebnisse unterstützte.
Die zunehmenden Diskussionen über ein in Sicht kommendes Ende des Zinserhöhungszyklus als auch der zunehmende Wettbewerb der Banken um Kundeneinlagen könnten wieder zu einem Abflauen des Wachstums bei den Nettozinsergebnissen führen. Aber so einfach ist dieser Zusammenhang nicht herzustellen. Das Zinsergebnis entwickelt sich typischerweise nachlaufend, da sich erst mit der Zeit Kredite und Investments an das entsprechende Zinsniveau angleichen. Es scheint, als würden die Marktteilnehmer diese Entwicklung nicht vollständig in ihre Bewertungen einkalkulieren.
Der Hauptrisikofaktor für den Bankensektor besteht eher in der Ausprägung der erwarteten Rezession. Je nach Heftigkeit und Dauer würden nämlich die Kreditausfallraten steigen und damit zu Ertragseinbußen führen. Zumindest was die Ausleihungen an private Haushalte betrifft, befürchten wir jedoch derzeit kein Hochschnellen von Kreditausfallraten. Sowohl die Bilanzen der Privathaushalte als auch die Arbeitsmärkte erscheinen weiterhin robust. Zudem verfügen gerade europäische Institute über Puffer aus bisher nicht aufgelösten Rückstellungen im Rahmen der Covid-Krise. Einen weiteren Risikofaktor stellt das Erlahmen des Immobiliensektors mit dem entsprechenden Rückgang von Neukreditabschlüssen und steigenden Ausfallraten dar.
Im Vergleich zum US-amerikanischen Bankensektor erscheint uns also der europäische Bankensektor günstiger bewertet: Er bewegt sich nach wie vor unterhalb seines langfristigen Bewertungsniveaus und wird von einem derzeit dynamischeren Momentum beflügelt. Gerade die positiven Effekte auf die Nettozinserträge sollten hier weiterhin zum Tragen kommen. Allerdings: Aufgrund der Fragmentierung und lokalen Besonderheiten stellt sich die Auswahl von den richtigen Bankentiteln in Europa als nicht trivial dar. Allerdings halten wir den US-Bankensektor nach wie vor strukturell besser aufgestellt – wenn auch relativ hoch bewertet.
Marc Decker
Stellvertretender Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck