Die sich zu Ende neigende Berichtssaison in den USA – rund 95 % der S&P500-Unternehmen haben ihre Ergebnisse für das vierte Quartal 2022 gemeldet – war zwar für einige Überraschungen gut. So berichteten zwei Drittel der Unternehmen (68 %) einen höheren Gewinn und einige weniger (58 %) einen höheren Umsatz als erwartet. Dennoch liegen die positiven Revisionen unter dem 5- und 10-Jahres-Durchschnitt. Im Jahresvergleich sank der Gewinn je Aktie im Schnitt um 1 %; klammert man aber den sehr profitablen Energiesektor aus, gingen die Gewinne im Schnitt um 5 % zu-rück. Leicht über den Erwartungen liegende Umsatzwachstumsraten glichen schwä-chere Margen teilweise aus.
Was das Ausmaß der Prognoseverfehlungen angeht, war die Streuung zwischen den einzelnen Sektoren des S&P500 relativ hoch. Während die Unternehmen aus der zyklischen Konsumgüterindustrie ihre Gewinnerwartungen im Schnitt um 9,69 % und die aus dem Gesundheitswesen um 4,94 % übertrafen, lagen die Gewinne der Kommunikationsunternehmen um 10,16 % unter den Erwartungen und die der Versorger um 4,41 %.
Eine ähnliche Sektordifferenzierung ergibt sich, wenn man das Gewinnwachstum absolut betrachtet: Industrie- und Energieunternehmen konnten ihren Gewinn um 36,35 % bzw. 55,31 % steigern; Technologie- und Kommunikationsunternehmen lagen mit -9,96 % bzw. -27,68 % am unteren Ende. Da die gemeldeten Gewinnspannen, insbesondere im Technologie- und Kommunikationsdienstleistungssektor, niedriger ausfielen als vor dieser Gewinnsaison erwartet, deuten die Aussichten für dieses Jahr darauf hin, dass weitere Kostensenkungen erforderlich sein könnten, damit die Unternehmen bei sinkenden Betriebsmargen rentabel bleiben. Wir rechnen mit weiterem Druck auf die Margen der Unternehmen, was das Wachstum des Gewinns pro Aktie zumindest im Jahr 2023 stark beeinträchtigen dürfte.
Europa hinkt in der Berichtssaison etwas hinterher; hier haben erst circa zwei Drittel der Unternehmen ihre Ergebnisse für das letzte Quartal 2022 veröffentlicht. 56 % der Unternehmen meldeten eine positive EPS-Überraschung und 61 % eine positive Umsatzüberraschung. Im Schnitt wachsen die Gewinne um 1 % im Jahresvergleich. Allerdings zeigt sich auch in Europa eine relativ starke Differenzierung nach Sektoren:
Defensive Sektoren wie Versorger und Basiskonsumgüter können ihre Gewinne steigern, zyklische Sektoren verzeichnen im Allgemeinen einen Gewinnrückgang. Die besten Ergebnisse wurden von Banken, Energie- und Chemieunternehmen geliefert. Eine weitere Differenzierung nach Gewinn und Umsatz lässt vermuten, dass es den europäischen Unternehmen in der Gesamtheit bislang recht gut gelungen ist, die Margen stabil zu halten. Während nämlich die Zahlen hinsichtlich des Umsatzes negativ überraschten, ist der Anteil der Unternehmen, die einen höheren Gewinn als erwartet vermelden konnten, seit dem letzten Jahr gestiegen und entspricht derzeit dem Niveau von Q2 2022.
- Die drei Sektoren mit den größten positiven Gewinnüberraschungen sind Finanz-werte (19,23 %), Grundstoffe (30,40 %) und zyklische Konsumgüter (185,00 %).
- Die drei Sektoren mit den größten negativen Gewinnüberraschungen sind Technolo-gie (-8,72 %), Immobilien (-20,89 %) und Basiskonsumgüter (-31,65 %).
- Das gemeldete Gewinnwachstum für die Sektoren Kommunikation und zyklische Konsumgüter lag bei 37,46 % bzw. 49,36 % am oberen und für die Sektoren Werk-stoffe und Immobilien mit -28,55 % bzw. -51,91 % unteren Ende der Sektorenvergleiche.
Wie in den USA werden im Jahr 2023 Lohnsteigerungen voraussichtlich auf die Gewinnmargen der Unternehmen drücken. In den Ausblicken wurden bisher in den Sektoren Banken sowie Reise & Freizeit die größten Aufwärtskorrekturen vorgenommen; im Energiesektor wurden die Gewinnerwartungen für 2023 aufgrund der starken Ergebnisse im vierten Quartal 2022 gesenkt.
Marc Decker
Leiter Aktien bei Quintet Private Bank
Muttergesellschaft von Merck Finck