Die Negativschlagzeilen für den Immobiliensektor reißen gerade in Deutschland nicht ab. Ganz aktuell teilte das Statistische Bundesamt mit, dass im März 2023 fast ein Drittel weniger Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt wurden als im Vorjahresmonat, was durchaus als dramatisch interpretiert werden darf. Gleichzeitig rutschten die Preisniveaus auch in den Regionen und Städten, die die letzten Jahre zu den Hauptprofiteuren des Immobilienbooms gehörten, ab. Die Krise des Sektors hierzulande zeigt sich also vor allem in den Wohnimmobilien. Aber auch bei Gewerbeimmobilien hält Vorsicht Einzug. Die Gründe sind vielschichtig, aber hängen natürlich auch am strukturellen Wandel, wie dem geringeren Bedarf an Büroflächen aufgrund des zunehmenden Homeoffice-Arbeitstrends. Zwar sind bis einschließlich 2022 die Büromieten laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft noch teils deutlich gestiegen – allein im Jahr 2022 um 5,9 Prozent - und zeigten sich damit überraschen robust, aber die strukturellen und makroökonomischen Herausforderungen empfehlen diesen Subsektor nicht für ein Investment. Gerade beim Thema Gewerbeimmobilien scheint sich das alte Mantra „Lage, Lage, Lage“ wieder zu bewahrheiten, so dass Premiumlagen in New York oder Paris nach wie vor gut unterstützt und nachgefragt werden.
Bei Wohnimmobilien findet bereits eine Marktbereinigung statt, in der sich die Preise an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Nach jährlichen Steigerungen von circa fünf Prozent seit dem Jahr 2005 gingen im vierten Quartal 2022 die Preise für Wohnimmobilien erstmals seit einer Dekade zurück. Weil aber der durchschnittliche Preisrückgang von 3,6 Prozent die nachteiligen Effekte, wie die massiv gestiegenen Herstellungs- und Finanzierungskosten, noch längst nicht kompensiert, rechnen wir mit weiteren deutlichen Preisrückgängen im Jahresverlauf.
Diese Entwicklungen gehen natürlich auch an börsennotierten Immobilienkonzernen wie Vonovia, TAG oder LEG nicht spurlos vorbei. So dürfte die heutige Hauptversammlung von Vonovia sehr spannend werden, da die Stimmung der Aktionäre ohnehin schon sehr schlecht ist. Die hohen Wachstumsraten, aber auch die hohen Wachstumsziele wurden nun kassiert. Gerade das fremdfinanzierte Wachstum der letzten Jahre fällt diesen Gesellschaften auf die Füße, da die hohen Verschuldungsgrade sich nun aufgrund der höheren Zinsniveaus deutlich negativ in den Bilanzen widerspiegeln. Zwar verfügen diese Gesellschaften aufgrund struktureller Faktoren – wie zu wenig zur Verfügung stehender Wohnraum zu erschwinglichen Preisen, gesundes Mietwachstums und historisch niedrige Leerstände – über einen guten Kapitalzufluss. Steigende Kosten im Unterhalt der Einheiten, energetischer Sanierungsbedarf, die angesprochenen höheren Aufwendungen für Fremdkapital, die fehlende Wachstums-Story und nicht zuletzt die Bewertungsabschläge auf die gehaltenen Immobilienassets sorgen aber für deutlichen Druck auf die Kurse dieser Gesellschaften. Eine aus der Sicht des Marktes offensichtlich suboptimale Kommunikation von Dividendenkürzungen oder -aussetzungen sorgte für weitere Volatilität.
Vonovia konnte zwar zuletzt den Verschuldungsgrad durch den Verkauf von Einheiten deutlich reduzieren und so vermitteln, dass eine Kapitalerhöhung nicht unmittelbar droht. Aber für einen Verkauf von 1.350 Einheiten in Berlin, München und Frankfurt mit einem Volumen von 560 Mio. Euro an CBRE Investment Management musste Vonovia einen Abschlag von circa sieben Prozent auf den Buchwert in Kauf nehmen. Darüber hinaus gab das Unternehmen den Verkauf einer Minderheitsbeteiligung an seinem "Südewo"-Portfolio an Apollo bekannt. Dass im Rahmen der gedrückten Stimmung am Immobilienmarkt für Immobilienkonzerne diese Transaktionen überhaupt stattgefunden haben, ist trotz der Bewertungsabschläge als positives Signal zu werten.
Weitere positive Signale sehen wir von der Zinsfront. Wir gehen davon aus, dass die Höchststände bei den Zinsen mehr oder weniger erreicht sein sollten. Dies sollte perspektivisch Immobilienaktien wieder unterstützen. Auch gehen wir nicht von einem Platzen der „Immobilienblase“ in Deutschland aus, da gerade der strukturelle Mangel an Wohnraum hierzulande unterstützend wirken sollte. Dennoch ist der Silberstreif am Immobilienhimmel noch nicht in Sicht. Umso mehr gilt es zu differenzieren: Für die verschiedenen Marktsegmente – Gewerbe-, Büro-, Wohn-, oder Spezialitätenimmobilien – gibt es unterschiedliche Treiber, aber keine „One-Size-Fits-All“-Lösung.
Marc Decker
Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck