In den letzten beiden Quartalen haben sich die Aktien trotz sinkender Unternehmensgewinne erholt. Die Führung dieser Erholungsrallye ging von europäischen Aktien auf eine kleine Gruppe von US-Technologieaktien über. Nun beginnt – zunächst in den USA – die Berichtssaison für das 2. Quartal 2023. Und wieder stellt sich die Frage: Werden die Bewertungen noch einmal dem stagnierenden Umsatzwachstum, sinkenden Margen und der makroökonomischen Großwetterlage trotzen können?
Tatsächlich erwarten Aktienanalysten im S&P 500 im Schnitt einen Rückgang der Unternehmensgewinne um circa 6 %; in Europa sogar noch deutlich mehr als in den USA. Aber: In den letzten Quartalen ist es den Unternehmen im Großen und Ganzen gelungen, durch gutes Erwartungsmanagement die Messlatte niedrig zu legen. Dadurch konnten die Erwartungen gut übertroffen werden. Mit diesem Effekt rechnen wir auch jetzt.
Entscheidend für das Sentiment wird jedoch sein, ob die genannten „Lokomotiven“, also die US Mega-Tech-Firmen, die in sie gesetzten Erwartungen schon mit entsprechend guten Quartalszahlen bestätigen können. Schließlich sind gerade bei ihnen die Bewertungen weit vorausgeeilt.
Daneben wird ein weiterer entscheidender Faktor sein, wie es um die Fähigkeit des breiten Unternehmenssektors bestellt ist, hohe Margen bei zurückgehender Inflation aufrechtzuer-halten. Auch werden wir ein erstes Zwischenfeedback erhalten, inwieweit es den Unternehmen gelingt, Künstliche Intelligenz schon in Einsatzmöglichkeiten und Wachstumspotentiale zu verwandeln.
Während sich die Verbraucher in den USA, wie so oft, robuster als erwartet gezeigt haben, wird der Fokus darauf liegen müssen, ob und wie sich der Stress im US-Bankensektor auf die Kreditvergabe und die Gewinne ausgewirkt hat. Je nachdem, wie das Gros der Berichte hereinkommt, könnte sich diese Berichtssaison als Katalysator für die Entwicklung der Aktienmärkte in die ein oder andere Richtung erweisen.
Wir bleiben bei einer vorsichtigeren Haltung. Denn wenn man alles zusammenzählt, sind Aktien teurer als noch vor sechs Monaten. Das macht sie unserer Meinung nach anfälliger für Enttäuschungen.
Marc Decker
Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck