Energiesektor hübscht Quartalssaison auf – Anleger sollten auf der Hut bleiben

Energiesektor hübscht Quartalssaison auf – Anleger sollten auf der Hut bleiben

Die Berichtssaison für das zweite Quartal 2022 neigt sich dies- und jenseits des Atlantiks dem Ende entgegen. Lieferkettenprobleme, Inflation, Energiekrise und andere Herausforderungen waren ein weniger scharfes Schwert als viele Firmen befürchtet hatten.
Blitzlicht vom 17. August 2021

Die Berichtssaison für das zweite Quartal 2022 neigt sich dies- und jenseits des Atlantiks dem Ende entgegen. Lieferkettenprobleme, Inflation, Energiekrise und andere Herausforderungen waren ein weniger scharfes Schwert als viele Firmen zunächst befürchtet hatten. In Summe waren die Zahlen deutlich besser als erwartet. Per 15.08.2022 haben 92 % der US-Unternehmen aus dem S&P 500 und 83 % der europäischen Unternehmen aus dem STOXX 600 ihre Zahlen für das abgelaufene Quartal veröffentlicht. In den USA erzielten 75% der Unternehmen höhere Gewinne und 70% der Unternehmen höhere Umsätze und übertrafen damit die Erwartungen. Damit wurde der Trend aus den Vorquartalen im Wesentlichen beibehalten.
Insgesamt lagen die Gewinne über alle Unternehmen hinweg um etwa 4 % oberhalb der Schätzungen. Bei den Umsätzen waren es ebenfalls rund 4 %, wobei dies vor allem auf die guten Ergebnisse bei Energie- und Versorgungsunternehmen zurückzuführen ist. Betrachtet man jedoch den Median der Unternehmen, so ist die Umsatzüberraschung mit knapp über 1% weniger beeindruckend. Ähnliches zeigt sich bei der Entwicklung des Gewinns je Aktie. Das Wachstum dieser Kennzahl war im Jahresvergleich für den Markt insgesamt positiv, wird aber weitgehend von der Energiebranche getragen. Lässt man den Energiesektor unberücksichtigt, so liegen die jährlichen Wachstumsraten um etwa 4 % niedriger als zu diesem Zeitpunkt im letzten Jahr. Der Energiesektor hat eine ohnehin ansehnliche Quartalssaison nochmals aufgehübscht. Investoren sollten angesichts der überraschend guten Quartalssaison daher nicht gleich in Euphorie verfallen. Beruhigend ist, dass die Gewinnsteigerungen über alle Sektoren hinweg breit gestreut sind. Dies bestätigt, dass der US-Markt trotz einer technischen Rezession widerstandsfähig bleibt und sowohl Gewinne als auch Umsätze oberhalb der Erwartungen liefert. Interessante Erkenntnisse gab es aus dem IT-Sektor. Hier fielen die Zahlen teils sehr stark aus. Daran sehen wir, dass trotz erheblicher Bedenken im ersten Quartal viele der Themen, die in den letzten Jahren für die Outperformance der Technologiebranche verantwortlich waren (wie beispielsweise das Cloud-Geschäft) weiterhin Bestand haben. Die Berichtssaison in der Eurozone verlief ebenfalls positiv, wobei 70 % der Unternehmen ihre Gewinne und beeindruckende 84 % ihre Umsätze steigerten.  Insgesamt lagen die Gewinne um 9 % oberhalb der Erwartungen und die Umsätze 7 %. Das Ausmaß der Umsatzsteigerungen deutet darauf hin, dass das nominale Wachstum trotz der Inflation positiv bleibt und die Unternehmen weiterhin ihre höheren Kosten weitergeben können. Darüber hinaus hat sich die Stärke des USD für internationale Unternehmen im Binnenmarkt positiv ausgewirkt. Die Jahreswachstumsraten für die Eurozone sind mit 13 % beim Gewinn pro Aktie und 25 % beim Umsatz robust, doch sind die Wachstumsraten beim Gewinn pro Aktie negativ (-4 %), wenn der Energiesektor herausgerechnet wird. Neben dem Energiesektor zeigten in Europa der Finanzsektor und der Sektor der langlebigen Konsumgüter im zweiten Quartal starke Gewinnüberraschungen. Bei den Finanzwerten waren die Ergebnisse breit gestreut, und die meisten Unternehmen übertrafen die Erwartungen. Bei den langlebigen Konsumgütern wurden die Erwartungen vor allem von den großen Automobilherstellern übertroffen. Wir gehen im Blick nach vorn davon aus, dass die Aktien der Eurozone im Vergleich zu den US-Aktien zunehmend unter Druck geraten werden. Eine Rezession in der Eurozone ist sehr wahrscheinlich, und obwohl sie auch in den USA immer wahrscheinlicher wird, ist sie dort noch nicht unser Basisszenario. Anleger sollten künftig noch stärker als bisher auf fundamentale Faktoren und weniger auf technische Faktoren schauen. Wir erwarten, dass die Erträge bis zum zweiten Halbjahr 2022 und darüber hinaus eine immer wichtigere Rolle für den Aktienmarkt spielen werden. Bisher waren die Marktbewegungen in erster Linie durch eine Anpassung bzw. Neubewertung von Unternehmen ausgelöst worden. Ab jetzt dürften die Erträge der Firmen wichtiger als Bewertungsmultiplikatoren oder Abzinsungsfaktoren sein. Der Rückenwind aus dem Energiesektor wird mit großer Wahrscheinlichkeit abflauen. Auch die starken Ergebnisse der Finanz- und Autokonzerne dürften im zweiten Halbjahr grosso modo nicht wiederholbar sein – vor allem nicht, wenn es in der Eurozone zu einer Rezession kommt, da diese Sektoren sehr zyklisch sind. Wer glaubt, dass der Markt bereits jetzt durch die Rezessionsrisiken hindurchschaut und der Weg frei ist für eine breite Aktienmarktrallye, der könnte auf dem falschen Fuß erwischt werden. Anleger sollten auf der Hut bleiben. 

Marc Decker
Stellvertretender Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck

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