Rohstoffe und Rohstoffaktien fristeten in vielen Portfolios in den letzten Jahren nur ein Schattendasein. Jetzt sind sie plötzlich in den Fokus gerückt. Die im Zuge der Coronapandemie aufgetretenen Störungen der Lieferketten hatten die Preise für viele Rohstoffe bereits deutlich ansteigen lassen. Die Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine haben die Situation noch einmal drastisch verschärft. Dies hat auch die Kurse von Explorations- und Bergbauunternehmen in die Höhe getrieben. Viele Analysten haben ihre Kursziele für solche Werte schon erhöht. Ist für Anleger nun die Zeit, mehr Rohstoffaktien ins Portfolio zu nehmen?
In einer rein ökonomischen Dimension erscheinen derzeit vor allem Bergbauwerte interessant, die einen großen Teil ihres Geschäfts im Kupferbereich machen. Am Markt scheint das Angebot immer noch knapp zu sein, die Erzgehalte vieler Vorkommen sinken allmählich und neue Abbaumöglichkeiten sind rar gesät. Darüber hinaus hat die Elektrifizierung der Wirtschaft und insbesondere die Nachfrage und die Produktion von Elektroautos noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht, was letztlich die Nachfrage zusätzlich ankurbeln sollte. Insgesamt bietet die Kombination der oben genannten Faktoren eine gute strukturelle Basis für Kupfer und Kupferwerte in den nächsten Jahren. Ein weiterer Rohstoff, der für Energiespeicher allgemein und speziell für die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten wichtig ist, ist Lithium. Hier ist ebenfalls anzunehmen, dass der Förderbedarf ansteigt.
Rohstoffe und damit einhergehend Rohstoffaktien konnten zuletzt positive Diversifikationsbeiträge für Multi-Asset-Portfolien erzielen. Und kurz- bis mittelfristig sollten Rohstoffaktien weiter im Aufwind bleiben, jedoch ist die ökonomische Dimension nur die eine Seite der Medaille. Langfristig orientierte Anleger sollten Nachhaltigkeitsüberlegungen unbedingt berücksichtigen. Die meisten Bergbauwerte hinterlassen einen negativen ökologischen und sozialen Fußabdruck. Sie finden aus diesem Grund keinen Eingang in unsere Portfolios. Beispielsweise müssen für die klassischen Gewinnung von einem Kilogramm Gold rund 200 Tonnen Erz und 1.250 Tonnen Gestein bewegt werden, ganz zu schweigen vom Wasser- und Chemikalieneinsatz. Hinzu kommt, dass der Markt nach unserer Einschätzung noch nicht angemessen eingepreist hat, dass Bergbauunternehmen wegen ihres oft schlechten Nachhaltigkeitsprofils unter kontinuierlich zunehmendem Druck der Investoren stehen werden. Auch Regulierungsmaßnahmen mit Blick auf die ökologische und soziale Verantwortung von Unternehmen nehmen weltweit erst langsam Fahrt auf. Die meisten Bergbauunternehmen sind darauf noch nicht eingestellt.
Investoren, die ihrem Portfolio eine wirkungsvolle Krisenabsicherung beimischen wollen, können dies über ein Engagement in Gold tun. Hier gibt es inzwischen Lösungen, die auf recyceltem Gold, zum Beispiel aus Elektrogeräten, beruhen und ein um Längen besseres Nachhaltigkeitsprofil aufweisen als klassisches Gold, das unmittelbar aus dem Bergbau stammt. Auch für weitere Edelmetalle dürften sich vergleichbare Anlagelösungen entwickeln. So können Rohstoffe auch für langfristig orientierte Anleger mit Nachhaltigkeitsbewusstsein interessant sein.
Marc Decker
Stellvertretender Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck