Die auslaufende Berichtssaison für das erste Quartal 2022 überraschte in Bezug auf Gewinne und Umsätze positiv. Das gilt für die Leitindizes in Europa und den USA gleichermaßen. Etwa 76% der US-Unternehmen haben bei den Gewinnen positiv überrascht und 67% bei den Umsätzen. In Europa lagen diese Werte bei 66% bzw. 73%. Während des gesamten Quartals haben sich die Gewinnwachstumsraten im Vergleich zum Quartalsbeginn verbessert, wobei das Wachstum aufs Jahr gerechnet bei 7,3% lag, während zu Beginn des Quartals 4,7% erwartet worden waren. Damit fällt das Gewinnwachstum zwar deutlich kleiner aus als in der Erholung unmittelbar nach der Hochphase der Pandemie, aber es handelt sich immer noch um eine starke Wachstumsrate. Auch die Nettomargen sind mit 11,4 % im gesamten Quartal robust geblieben und liegen damit über dem Niveau vor der Pandemie.
Auf Sektorebene verzeichnete in den USA der Energiesektor das stärkste Wachstum im Jahresvergleich, gefolgt von Industriewerten und Grundstoffen. Das schwächste Wachstum im Jahresvergleich erzielten Finanzwerte und zyklische Konsumgüter, wobei sich hier insbesondere die Entwicklung bei Amazon niederschlug. Die größten Überraschungen beim Gewinnwachstum kamen aus dem Grundstoffsektor, der um 9,6% zu-legte, sowie aus dem Sektor Nicht-Zyklischer Konsum, der mit um 8,7% höheren Gewinnen positiv überraschte.
Teilt man den Aktienmarkt in defensive Sektoren, zyklische Sektoren und Wachstums-werte auf, wiesen die defensiven Werte mit 10,5% die höchste positive Überraschung mit Blick auf die Gewinne je Aktie auf. Dem stehen 6,5 für zyklische Sektoren und 7,1% für Wachstumssektoren gegenüber. Die europäischen Märkte lieferten ein ähnliches Bild. Auch hier verzeichneten die Sektoren Energie, Grundstoffe und Industriewerte, aber auch der Sektor Kommunikation die höchsten Zuwächse bei den Gewinnen. Der Finanzsektor gehörte, neben Immobilien und Versorgern, zu den Sektoren mit dem schwächsten Gewinnwachstum.
Die Marktreaktionen auf Fehlbewertungen und Abweichungen von Konsensschätzungen waren recht heftig. Unternehmen, die den Erwartungen der Analysten nicht gerecht wurden, mussten Kursrückgänge von im Durchschnitt 3,3% verkraften. Die Marktreaktionen bei den Wachstumssektoren war indes noch heftiger, wo der durchschnittliche Verlust 5,6% betrug. Bei positiven Überraschungen stiegen die Kurse der jeweiligen Unternehmen im Schnitt um 0,6%. Die Jahresprognosen der Unternehmen wurden seit Beginn des Quartals im Durchschnitt um 0,9% nach unten korrigiert. Dabei gab es keine wesentlichen Unterschiede zwischen zyklischen, wachstumsorientierten oder defensiven Sektoren. Die meisten Anhebungen der Konsensschätzungen erfolgten im Energiesektor (allerdings in einer kleinen Stichprobe). Die größten Herabstufungen gab es in den Sektoren Grundstoffe, Finanzwerte und Nicht-zyklischer Konsum.
Wir gehen davon aus, dass das verlangsamte globale Wachstum und der zunehmende Margendruck das Gewinnwachstum belasten werden. Während die Berichtssaison im ersten Quartal bisher sehr stark war, gehen wir davon aus, dass sich das Wachstum verlangsamt und der Druck auf die Gewinnspannen auch aufgrund der Inflation zu-nimmt, so dass sich die Gewinnaussichten ab jetzt deutlich eintrüben könnten. Die gegenwärtig besonders ausgeprägte Stärke des USD erachten wir als vorübergehend,
wodurch Wettbewerbsnachteile für exportierende US-Unternehmen überschaubar sein sollten. Die nächste Quartalssaison dürfte weniger erfreulich verlaufen als die zurück-liegende. Anleger sollten sich zudem darauf einstellen, dass die derzeit ohnehin unruhigen Märkte weiter außergewöhnlich stark reagieren werden, wenn Unternehmen die Analystenprognosen verfehlen.
Marc Decker
Stellvertretender Leiter Aktien bei Quintet Private Bank,
Muttergesellschaft von Merck Finck