Mit der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse für das erste Quartal 2024 haben die großen US-Banken den Startschuss für die anlaufende Berichtssaison gegeben. Die ersten Eindrücke sind positiv. Nicht nur die großen Einzelinstitute haben ordentlich abgeschnitten, auch die Hinweise auf die Wirtschaftslage im Allgemeinen sind ermutigend. Man könnte versucht sein, dies als positive Vorzeichen für die bevorstehende Berichtssaison in Europa zu deuten. Doch diese Hoffnung wäre verfrüht, da die Lage in Europa deutlich schlechter ist. Immerhin hellen sich die Aussichten inzwischen leicht auf.
Zunächst ein kurzer Blick auf die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Zahlenwerk der US-Banken: Neben weiterhin hohen Gewinnbeiträgen aus dem Zinsgeschäft entwickelten sich auch die Erträge aus dem Investmentbanking und Beratungsgeschäft wieder besser. Darüber hinaus wurden sogar zuvor vorgenommene Rückstellungen für ausfallgefährdete Kredite wieder gewinnwirksam reduziert. Die US-Institute scheinen damit ökonomisch das Gröbste hinter sich zu haben.
Aber sehen wir hier auch schon eine Blaupause für die Berichte der europäischen Institute? Die europäischen Banken, die traditionell, bis auf wenige Ausnahmen, in einem geringeren Maße vom Investmentbanking-Geschäft abhängen, sollten ebenfalls erneut deutlich vom Zinsgeschäft profitiert haben. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Notenbank scheint die EZB allerdings recht nahe an einer ersten Zinssenkung zu stehen, was sich zeitnah auch wieder negativ auf die Zinserträge europäischer Institute auswirken dürfte. Zudem werden die Rückstellungen, gerade bei den Banken mit großem Engagement im Immobilienbereich, wohl noch keine Entwarnung auf breiter Front signalisieren. Die Investoren werden dies mit Argusaugen beobachten. Die Ertragsaussichten der europäischen Banken, insbesondere der deutschen, sind jedenfalls längst nicht auf dem Niveau der US-Amerikaner. Nur Banken, die mit einem nachweisbar sehr starken Ausblick überzeugen können, werden in der Gunst der Investoren steigen.
Jenseits des Bankensektors ergibt sich auch für die Berichtssaison insgesamt ein ähnliches Bild: USA top, Europa flop. In den USA erwarten die Analysten ein Gewinnwachstum gegenüber dem Vorjahr von rund drei Prozent, wohingegen für die europäischen Unternehmen für das erste Quartal ein Gewinnrückgang um etwa 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr erwartet wird. Diese Einschätzung für den europäischen Markt zieht sich fast über alle Sektoren hinweg, wobei es Energieunternehmen besonders hart treffen dürfte und Unternehmen aus dem Bereich zyklischer Konsumgüter tendenziell noch am ehesten in einem günstigen Licht erscheinen. Aus Investorensicht interessant ist, dass marktweit die Umsatzerwartungen stiegen, wohingegen die Schätzungen für die Margen heruntergenommen wurden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Unternehmen es nun etwas leichter haben, positiv zu überraschen. Das Stöckchen, über welches die Unternehmen springen müssen, liegt niedriger.
Positiv für die europäischen Unternehmen stimmt auch, dass die Gewinnrevisionen sich gegen Ende des Quartals verlangsamten und die Herabstufungen zurückgingen. Infolgedessen hat sich die Gewinnstimmung in Europa von ihrem niedrigen Niveau erholt und schwenkt – wenn auch sehr langsam - auf den Trend ein, den die US-Firmen vorgeben. Auch die Makrodaten beginnen sich zu verbessern und erste Frühindikatoren deuten zaghaft auf eine Erholung hin. Für große Hoffnung auf eine kraftvolle Erholung in Europa ist es aber definitiv zu früh.
Schlecht für die Stimmung sind derweil die jüngsten Signale der US-Notenbank, dass die Fortschritte im Kampf gegen die Inflation wohl doch keine baldige Zinssenkung rechtfertigen. Auch die anhaltenden geopolitischen Spannungen, insbesondere die drohende Eskalation im Nahen Osten, lasten auf der Bereitschaft der Investoren, in risikobehaftete Vermögenswerte zu investieren.
Wir raten Anlegern dazu, durch diese Themen hindurchzusehen und langfristig im Aktienmarkt engagiert zu bleiben. Dabei empfehlen wir unverändert eine hohe Gewichtung in substanzstarken Titeln mit erprobtem Geschäftsmodell, die auch in Krisenphasen ihre Erträge und Margen hochhalten können.
Marc Decker
Co-Head of Direct Equities
Quintet Private Bank