Die Bundesregierung setzt weiterhin auf Energieimporte aus Russland. Aus ökonomischer Sicht ist das nachvollziehbar. Denn kurzfristig werden weder Deutschland noch Europa vollständig auf fossile Energieträger aus Russland verzichten können. Politisch allerdings wird sich Europa die Abhängigkeit von Moskau nicht dauerhaft leisten können. Dies ist allen Beteiligten klar. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, dass die Bemühungen der EU-Staaten, alternative Energiequellen auszubauen, künftig noch stärker forciert werden.
Sicherlich wird nun auch darüber diskutiert werden, im Sinne einer pragmatischen Lösung übergangsweise in gewissem Rahmen wieder auf Energieträger wie Gas, Kohle oder Atomkraft zu setzen. Dies kann jedoch nur eine Zwischenlösung sein. Am forcierten Ausbau alternativer Energien führt kein Weg vorbei. Alles andere wäre sicherheitspolitisch, energiepolitisch und klimapolitisch nicht zu vermitteln.
Ähnlich entschlossen wirkte Europa schon einmal. Als nach dem Ölembargo von 1973 der Ölpreis in weniger als sechs Monaten um 300 Prozent anstieg, wurde der Ruf nach Energieunabhängigkeit laut. Es hatte sich aber damals im Grunde nicht viel verändert. Dieses Mal jedoch ist die Situation eine andere. Denn der Weg in die Energiewende und damit zur mehr Autarkie ist seit Jahren bereits geebnet und organisiert. Vor allem aber gab es in den 1970er-Jahren noch keine Technologien, die den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen hätten möglich machen können. Heute ist das anders. Die notwendigen Technologien stehen vielfach bereits zur Verfügung, andere befinden sich in der Entwicklung. In den nächsten Jahren kann der Aufbau einer neuen Infrastruktur für den Import von Flüssiggas und die Wiederaufnahme der Gasspeicherung dafür sorgen, den Druck zu mindern und die Risiken für die Energiesicherung zu verringern. Deutschland hat bereits angekündigt, neue LNG-Terminals zu bauen, und die EU will ihre Kapazitäten zur Gasspeicherung vor dem nächsten Winter verdoppeln.
In der EU gibt es bereits ehrgeizige Pläne für einen Umstieg auf sauberer Energie. Dazu gehört, bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen. Der Wandel beim Stromerzeugungs-Mix schreitet bereits zügig voran. Bis Ende dieses Jahrzehnts könnte die EU potenziell etwa 85 % ihrer Elektrizität aus kohlenstofffreien Ressourcen beziehen – im Jahr 2020 waren es lediglich 60 %. In anderen Bereichen, wie der Wärmeversorgung, dem Transportwesen und dem Chemiesektor, gibt es jedoch noch einiges zu tun.
Einige Szenarien gehen davon aus, dass Europa seine Abhängigkeit von Russland bis zum Jahr 2030 erheblich reduzieren könnte, indem es, angetrieben von Offshore-Windanlagen, Wasserstoff und Elektrofahrzeugen, auf lokal erzeugte saubere Energie umsteigt. Um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verringern, könnte das Transportwesen bis dahin elektrifiziert werden oder man steigt mit sehr viel größerer Entschlossenheit auf grünen Wasserstoff um. Die Wärmeversorgung könnte auf einen Mix aus Elektrizität und grünem Wasserstoff umgestellt werden, der wiederum lokal aus erneuerbarer Energie bezogen wird. Technologien wie Verbundnetze, Energiespeicherung, intelligente Netze und eine dezentrale Energieerzeugung könnten den Umstieg auf saubere Energie in Europa weiter begünstigen.
Mehr denn je wird dazu in Europa das Geld privater Investoren erforderlich sein. Für sie war der Markt für Energieinfrastruktur immer schon interessant. Er dürfte jetzt an Attraktivität noch zunehmen.
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Robert Greil, CFA, Chefstratege MERCK FINCK I A QUINTET PRIVATE BANK
und
Pinaki Das, Head of Thematic Research at QUINTET PRIVATE BANK