Wir nähern uns der Jahresmitte 2023 und nehmen dies zum Anlass, unsere Prognosen vom Jahresanfang einer Prüfung zu unterziehen. Dies gilt insbesondere für unsere drei zentralen makroökonomischen Thesen, deren Eintreffen wir um das 2. Quartal erwartet hatten: den Höhepunkt der Inflation (ausgehend von den USA), eine Wende in der Zinspolitik der Zentralbanken (beginnend mit der US-Notenbank Fed) und eine Erholung des Wachstums in China.
Ursächlich für diese makroökonomischen Überlegungen war die Erwartung einer Rezession in den Industrieländern infolge einer Straffung der Geldpolitik, welche die Inflation bremsen und die Zentralbanken zu einer Aussetzung der Zinsanhebungen veranlassen sollte. Eine weitere Annahme lautete, dass unterdessen die Erholung in China an Fahrt gewinnen würde, da es zu jenem Zeitpunkt dort kein Inflationsproblem gab und die Zentralbank den wirtschaftlichen Aufschwung und die Wiedereröffnung aktiv unterstützte.
Haben sich unsere Prognosen erfüllt? Ja, teilweise. Gegenwärtig mehren sich die Anzeichen, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat (zumindest in den USA). Dies eröffnet der Fed den nötigen Spielraum, um die Zinserhöhungen auszusetzen. In China hat sich das Wachstum früher als erwartet beschleunigt, wenn auch nicht ganz so kräftig wie zunächst angenommen. Die jüngsten Indikatoren deuten auf ein etwas schwächeres Wachstum hin. Die prognostizierte Rezession in den Industrieländern hat sich bisher jedoch nicht bewahrheitet. Trotz einiger Phasen schwachen Wachstums zeigten sich die Industrieländer robuster als vermutet. Dies gilt vor allem für die Eurozone und das Vereinigte Königreich und ist in erster Linie auf die gesunkenen Energiepreise und den milden Winter zurückzuführen. Angesichts der verzögerten Wirkung bisheriger Zinserhöhungen und der von uns erwarteten Kreditverknappung ist eine leichte Rezession in den USA in der zweiten Jahreshälfte wahrscheinlicher geworden.
Hat sich unser Ausblick auf den Rest des Jahres und darüber hinaus geändert? Nur geringfügig. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die drei genannten Thesen für Wachstumsunterschiede und neue Marktzyklen sorgen werden. Nach unserer Auffassung dürften die Eurozone und das Vereinigte Königreich dort stehen, wo die USA vor sechs Monaten waren. Die Inflation hat ihren Höhepunkt noch nicht eindeutig überschritten und die Zentralbanken werden die Zinsen weiter anheben, wenn auch nicht mehr lange. Aus diesem Grund werden die Europäische Zentralbank und die Bank of England die Zinsen noch häufiger erhöhen als die Fed.
Zudem gehen wir davon aus, dass sich die Aussichten für die Währungen in den kommenden Quartalen nicht wesentlich ändern werden. Nach unserer Einschätzung ist der US-Dollar (USD) immer noch überbewertet und die Aussetzung der Zinserhöhungen durch die Fed könnte zu einer Schwächung des USD führen. Mit der geldpolitischen Pause der Fed dürfte sich die Differenz der Realzinsen zwischen den USA und der Eurozone bzw. dem Vereinigten Königreich verringern. Der Euro und das Pfund Sterling dürften gegenüber dem USD aufwerten, wenn auch in Anbetracht des schwachen Binnenwachstums nur moderat.
Auch in Bezug auf das Marktumfeld bleibt unsere Gesamtausrichtung weitgehend unverändert. In unserer langfristigen Asset Allocation bevorzugen wir weiterhin eine leichte Übergewichtung von Anleihen mit guter Bonität und eine leichte Untergewichtung von Aktien und Unternehmensanleihen. Gründe hierfür sind die unsicheren Märkte sowie unsere Einschätzung, dass der Höchststand der Zinsen in Sichtweite ist. Deshalb werden wir unsere Asset Allocation nicht komplett überarbeiten, sondern lediglich Anpassungen vornehmen, um den sich abzeichnenden Trends und Risiken Rechnung zu tragen.
Daniele Antonucci
Chief Economist & Macro Strategist
Robert Greil
Leiter Investment & Client Solutions / Chefstratege
Dies gilt insbesondere für unsere drei zentralen makroökonomischen Thesen, deren Eintreffen wir um das 2. Quartal erwartet hatten: den Höhepunkt der Inflation, eine Wende in der Zinspolitik der Zentralbanken und eine Erholung des Wachstums in China.
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