Die Europäische Zentralbank (EZB) steht am Donnerstag vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gefährdet die Zoll-„Politik“ Donald Trumps die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft; das würde für unterstützende Geldpolitik sprechen. Andererseits gibt es ein Argument, dass die Zölle die Inflation antreiben könnten.
In dieser Gemengelage tendieren wir eher zu einer weiteren Lockerung der Geldpolitik in der Eurozone und erwarten – über die mittlerweile auch vom Marktkonsens prognostizierte Leitzinssenkung um 0,25 Prozentpunkte bei der kommenden Sitzung hinaus – noch zwei weitere in diesem Jahr. Damit dürfte der Einlagensatz bis Jahresende von heute noch 2,5% auf 1,75% sinken.
Denn aus unserer Sicht droht von der Inflationsseite geringere Gefahr als von der Wachstumsseite. Wir halten den leicht rückläufigen Inflationstrend – die Inflationsrate ist in der Eurozone im März von 2,3% weiter auf 2,2% gesunken – für intakt. Mehr noch: Mit dem Hin und Her bei den Zöllen ist sogar ein weiterer Inflationsrückgang im Euroraum noch wahrscheinlicher geworden als bereits zuvor die ohnehin schon moderaten Wachstumsperspektiven erwarten ließen. Wenn China angesichts exorbitanter Zölle nun keine Waren mehr in die USA exportieren kann, wird möglicherweise Europa mit mehr – und billigeren – Gütern aus China „geflutet“. Dieser Preiseffekt könnte dafür sorgen, dass die Inflation sich schneller als erwartet dem mittelfristigen EZB-Ziel von 2 % annähert.
Hinzu kommt, dass die EZB auch den im Zuge der US-Wankelmütigkeit gestiegenen Euro gegenüber dem US-Dollar im Auge haben dürfte, sprich einem noch stärkeren Euro zugunsten der Exportindustrie entgegenwirken wollen dürfte. Ebenso wird ein stärkerer Euro dazu beitragen, den Preisdruck niedrig zu halten.
Insofern sorgt die von der US-Administration ausgehende erhöhte Unsicherheit sogar für mehr Sicherheit bei der Entscheidung über die Zinspolitik der EZB: Die zunehmenden Wachstumssorgen und die abnehmende Inflationsangst sprechen für einen klaren Zinssenkungsentscheid am Donnerstag.
Mit dem von uns erwarteten Einlagensatz von 1,75% zum Jahresende läge die EZB dann am unteren Rand der von ihr als „neutral“ definierten Zielkorridors von 1,75-2,25%. Sollte es auch in 2026 noch nötig sein, das Wachstum durch Geldpolitik zu beeinflussen, hätte die EZB noch Spielraum, mit einem unter dem „neutralen“ Satz liegenden Leitzins die Wirtschaft im Euroraum deutlicher zu stimulieren.
Robert Greil, CFA,
Chefstratege
MERCK FINCK A QUINTET PRIVATE BANK